Diana-Taschenbücher, Nr.36, Ende der Vorstellung - pocketboek

Hermine Karpfinger hegt eine glühende Leidenschaft für Kriminalfilme. So gesehen trifft es sich gut, daß sie ein Kino besitzt: In ihren Karpfinger-Lichtspielen führt sie dem Wiener Vorstadtpublikum sämtliche Klassiker des blutrünstigen Genres vor. Nur gibt es -- neben einer stinkenden Toilette und einem undichten Dach -- neuerdings ein weiteres Problem: Wiederholt stößt Frau Karpfinger nach der Spätvorstellung in den vorderen Zuschauerreihen auf Leichen. Es handelt sich dabei ausschließlich um gut betuchte alte Männer; und der saubere Schnitt durch die Kehlen der Opfer -- von rechts nach links -- läßt darauf schließen, daß ein professioneller Linkshänder am Werke ist.

Weil nun aber eine leibhaftige Leiche auch für ein Krimi-Kino nicht wirklich eine gute Werbung und die Polizei schlaff ist, schwingt sich Hermine K. selbst zur Detektivin und also in ihre Stammkneipe -- das "Nachtlberger" -- auf. Dort zapft der Oberkellner Schorschi den üblichen Verdächtigen bereits das Bier: Die verschrobene "Tigerlady", die intrigante Würstchenbudenbesitzerin Sissi und die schwerhörige alte Klara mitsamt ihrer Freundin Ella tummeln sich am Tresen; ein grobschlächtiger Taxifahrer verstrickt sich in Widersprüche, und ominöse Notizbücher nebst ebensolcher Linkshänder tauchen ebenfalls auf. Vor allem aber werden wir Zeugen mißglückter Annäherungsversuche, weiblicher Konkurrenztiraden, männlicher Revierkämpfe und äußerst pragmatischer Debatten über die Leichenentsorgung.

Die preisgekrönte Wiener Krimiautorin Edith Kneifl, die übrigens auch als Psychoanalytikerin arbeitet, hatte eine schwarzhumorige Parodie auf vorstädtische Befindlichkeiten sowie auf ihr eigenes Genre im Sinn. Zu diesem Zweck zitiert sie nahezu sämtliche legendären Kriminalfilme und läßt ihre Heldin jeden "Nachtlberger"-Gast an Cary Grant oder Anthony Perkins messen. Und uns wird bei dieser Gelegenheit schmerzlich bewußt, daß ein Wiener Vorstädter eben doch ein Wiener Vorstädter bleibt. --Christine Wahl